Achtsamkeit – Freund oder Feind?

Achtsamkeit ist ein Wort, das heutzutage schon fast überstrapaziert ist. Jeder redet davon als DIE Lösung für ein glückliches Leben: Sei achtsamer, vergiss deine Sorgen, werde ruhiger, gelassener und glücklich. Es gibt spezielle Lehrer und Kurse für Achtsamkeit und es wird oft als Lösung genannt, wenn jemand berichtet, er sei gestresst oder deprimiert.

Also was ist es, das Achtsamkeit so besonders macht?

Diese Praxis soll dabei helfen, im gegenwärtigen Moment präsenter zu sein. Während eines Spaziergangs würde dies beispielsweise bedeuten, dass du deine Umgebung wahrnimmst, deinen Schritten lauschst, den Wind auf deiner Haut spürst, anstatt zu gehen, während du über ein Arbeitsprojekt nachdenkst, das dir Sorge bereitet, nur um dann nach Hause zu kommen und keine Ahnung zu haben, wo du eigentlich gerade gewesen bist. Das Ziel der Achtsamkeit ist es, dich aufmerksamer zu machen, was dir auch dabei hilft, dich selbst besser kennenzulernen.

Aber! Ist es nicht anstrengend, alles noch bewusster wahrzunehmen?

Als ewige Kandidatin für das Gedankenkarussell war ich begeistert als ich von dieser tollen Sache namens Achtsamkeit hörte, die mir vielleicht helfen könnte, den Tumult in meinem Kopf zur Ruhe zu bringen. Dann lernte ich mehr darüber und fragte mich bald: Mit meiner Tendenz, alles zu zerdenken und zu analysieren kenne ich mich selbst und meine Muster bereits ziemlich gut. Ist es da wirklich nötig, dem noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken?

Diese Frage kam auf, als ich mich im täglichen Leben betrachtete. Manchmal reagierte ich über, dann realisierte ich, was gerade passiert war und wurde deswegen wütend auf mich. “Ich bin so dumm, warum konnte ich nicht einfach ruhig bleiben?” Dann registrierte ich, dass ich mich selbst verurteilte und wurde wiederum wütend. Daher begann ich, mich zu fragen, ob das ganze Achtsamkeitsding wirklich so gut für mich ist, wenn es doch nur dazu führt, dass ich mich noch mehr beobachte und dann selbst herunterputze, wenn ich etwas aus meiner Sicht “Falsches” getan habe.

Der Schlüssel: Nicht urteilen!

Beim Achtsamsein geht es nicht darum, alles zu überanalysieren. Es geht von vornherein nicht mal um Analysieren. Es geht darum, im aktuellen Moment präsent zu sein, darum, wahrzunehmen, was gerade passiert. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Wahrnehmen und Urteilen, das kannst du mir glauben!

“Aber natürlich bin ich präsent im aktuellen Moment, wo sollte ich denn sonst sein?”

Klingt das vertraut? Nun, die Sache ist leider die, dass die meisten von uns ganz woanders sind, wenn wir auf dem Weg zur Arbeit sind, in einem Zug sitzen oder Lebensmittel einkaufen. Für gewöhnlich sind wir irgendwo in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Ganz oft verlieren wir uns in Erinnerungen an etwas, das früher einmal geschehen ist, etwas, das wir nicht vergessen können. Unser Gehirn erinnert uns gerne an peinliche Vorfälle, Misserfolge oder Verluste. Gleichzeitig kreiert es verschiedene Szenarios für die Zukunft: Was alles Furchtbares passieren könnte, wenn man dies oder jenes nicht tut; was, wenn man eine falsche Entscheidung trifft; was, wenn man diesen einen Menschen verliert.

Beide Seiten – feststecken in der Vergangenheit oder der Zukunft – haben eins gemeinsam: Sie machen dich passiv. Die Vergangenheit ist gelaufen, die Zukunft ist noch nicht da, also gibt es nichts, was du daran ändern könntest. Natürlich ist es anders, wenn du feststellst, dass du in der Vergangenheit einen bestimmten Fehler gemacht hast, sodass du ihn nun vermeiden kannst. Oder du sorgst dich darum, was deine Familie wohl täte, wenn dir etwas zustieße, weswegen du eine Lebensversicherung abschließt. In beiden Szenarien bist du aktiv. Du tust aktiv etwas, um einen Fehler zu vermeiden oder um deiner Familie zu helfen. Jedoch erfordert schon allein die Erkenntnis, dass du dabei bist, einen Fehler zu machen, ein gewisses Maß an Achtsamkeit. Bist du in Gedanken ganz woanders, wird es dir nicht auffallen. Wenn du aus deiner Vergangenheit lernen kannst, ist das super – dafür ist sie da! Wenn du Schritte ergreifen kannst, um etwas zu erreichen, das du dir für die Zukunft wünschst, ist das super – das nennt man Ziele setzen! Sowohl lernen als auch Zielesetzen finden in der Gegenwart statt. In Erinnerungen schwelgen oder Luftschlösser bauen nicht.

Also warum ist Achtsamkeit gut?

Um bei unserem vorigen Beispiel zu bleiben, lass uns mit der Tatsache beginnen, dass dich Achtsamkeit aktiv macht. Der gegenwärtige Moment ist die einzige Zeit, in der du etwas tun, etwas verändern kannst. Du wirst passiv bleiben und nichts erreichen, wenn dein Geist nur in anderen Zeiten unterwegs ist.

Den Geist wandern zu lassen während der Körper etwas ganz anderes tut (denk an das Beispiel mit dem Spaziergang!) ist anstrengend für deinen gesamten Organismus. Wenn du wirklich tust was du gerade tust, ohne Ablenkungen von Gedanken, Erinnerungen oder Plänen, verbrauchst du nicht so viel Energie. Etablierst du eine Achtsamkeitspraxis, kannst du eine höhere Stressresistenz und mehr Konzentration entwickeln.

Mit mehr Konzentration und Stressresistenz erreichst du auch mehr Produktivität und Glücksempfinden. Achtsamkeit ist ein wunderbarer Gegenpart zu unserem hektischen Leben, in dem viele mental bereits im nächsten Meeting sind, während sie noch zu Mittag essen. 

3 schnelle Tipps für mehr Achtsamkeit

Erlebe dein Essen auf eine neue Weise: Kein hastiges Herunterschlingen, während du dein Telefon in der Hand hältst! Nimm das Essen in den Mund und bevor du anfängst zu kauen, fühle einfach: die Temperatur, die Konsistenz, den Geschmack. Dann beginne, langsam zu kauen, achte dabei darauf, wie sich das anfühlt und wie sich die Temperatur und die Konsistenz währenddessen verändern. Wenn du heruntergeschluckt hast, beobachte, wie du dich nun fühlst.

Schreibe deine Highlights auf: Mach eine Gewohnheit daraus, abends drei tolle Dinge aufzuschreiben, die dir tagsüber passiert sind. Auf diese Weise trainierst du dich selbst und dein Gehirn dazu, schönen Augenblicken mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Dies steigert Achtsamkeit und Glücksempfinden.

Der Klassiker: Meditation! Wenn du dir noch nicht vorstellen kannst, Achtsamkeit mit in den Alltag zu nehmen, starte auf einem Meditationskissen. Nur fünf Minuten am Tag sind schon genug für den Beginn, allerdings solltest du regelmäßig praktizieren. Es ist besser, jeden Tag ein paar Minuten zu meditieren, anstatt nur einmal pro Woche eine ganze Stunde. Probiere verschiedene Stile aus und schau, was für dich gut funktioniert. Du musst nicht bei einem Stil bleiben – bring Abwechslung ins Spiel, wenn dir danach ist! Indem du regelmäßig deinen Geist trainierst, festzustellen, wann du abdriftest und dann zurückzukommen, wirst du bald merken, dass du auch im Alltag achtsamer wirst.

Wie ist dein Verhältnis zur Achtsamkeit? Seid ihr bereits enge Freunde oder „beschnuppert“ ihr euch noch? Lass mich gerne wissen, ob du bereits eine Achtsamkeitspraxis hast und wenn ja, wie du dich damit fühlst!

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