Du bist „ehrlich“ und „direkt“? Wir können keine Freunde sein.

Fragt man Menschen, was ihnen bei einem Partner oder bei Freunden wichtig ist, wird häufig „Ehrlichkeit“ genannt. Auch mir liegt diese Eigenschaft am Herzen. Ohne Ehrlichkeit kann keine Beziehung, ob romantisch, freundschaftlich oder familiär, funktionieren. Warum also ist der Begriff für mich mittlerweile so negativ behaftet? Weil er leider allzu oft missbraucht wird.

Wenn mir jemand erzählt, er sei „sehr ehrlich und direkt“ und dass „viele damit nicht klarkommen“, schrillen bei mir die Alarmglocken. Ich finde, jemand, der aufrichtig ehrlich ist, muss das nicht extra kundtun – man merkt es einfach. Legt man viel Wert darauf, sich so zu beschreiben, ist es meiner Erfahrung nach ein Anzeichen dafür, dass diese Person unhöflich ist oder im schlimmsten Fall sogar einfach missgünstig oder gemein. Seien wir mal ehrlich (wirklich!): Es gibt nun mal Menschen, die anderen gerne eins reinwürgen. Man sieht sie täglich in den Kommentaren unter Instagram-Posts jeder Art, aber auch im realen Leben – in der Schule, in der Uni, im Büro, im Supermarkt. Und dann kaschieren sie ihr Verhalten mit „Ehrlichkeit“. Nennen wir diese unaufrichtige Form einer eigentlich tollen Eigenschaft doch einfach mal „toxische Ehrlichkeit“.

Wie erkennt man sie?

Aufrichtig ehrliche Menschen reden nicht darüber, wie ehrlich sie sind. Es ist bei ihnen so verankert, diese Eigenschaft zu haben, dass sie sie als selbstverständlich erachten. Toxisch ehrliche Menschen kündigen ihre „Ehrlichkeit“ an – sie warnen uns quasi vor, denn es ist ziemlich sicher, dass früher oder später ein unhöflicher oder vielleicht sogar gemeiner Kommentar fallen wird, oft gefolgt von „Ich sag’s ja, ich bin super ehrlich“.

Ihre Reaktion auf deine Reaktion

Oftmals sind solche Kommentare verletzend, weshalb wir entsprechend reagieren: Unsere Gesichtszüge entgleisen, wir sind verwirrt, vielleicht sauer. Wie sich unser Gegenüber dann verhält, sagt uns eine Menge. Auch aufrichtig ehrlichen Menschen rutscht manchmal ein etwas harscher Kommentar heraus, der eigentlich nicht verletzen sollte. Diese Menschen werden sich dann entschuldigen und versichern, dass es nicht so gemeint war. Wenn du dir aber anhören musst, du seist zu sensibel, oder dass man so etwas ja gewohnt sei, denn nicht jeder käme mit Ehrlichkeit oder Direktheit klar, dann weißt du, dass es ein Fall von toxischer Ehrlichkeit war.

Wirst du vorher gefragt?

Wer dich nicht verletzen möchte, aber fürchtet, dass seine ehrliche Meinung dich verletzen könnte, wird vorher fragen, ob du diese Meinung hören möchtest. Und auch wenn du bejahst, wird dir jemand, der aufrichtig ist, nicht einfach unbedacht etwas ins Gesicht klatschen, sondern seine Worte mit Bedacht wählen. Daran merkst du, dass es deinem Gegenüber wirklich daran gelegen ist, dir eine ehrliche Meinung zu geben, und zwar ohne dich zu verletzen.

Was tun, wenn dein Gegenüber pseudo-ehrlich ist?

Fordere Höflichkeit ein

Denn die verdienst du!

Wenn du wissen wolltest, ob dir ein Kleidungsstück steht und das nun mal leider nicht der Fall ist, kann man das immer noch nett übermitteln, ohne zu beleidigen. Mach das der anderen Person klar – auch unbequeme Wahrheiten oder Kritik müssen nicht zwangsläufig verletzen!

Stelle klar, wenn du kein Feedback möchtest

Jeder hat ein Recht auf seine Meinung, aber wenn du sie nicht hören möchtest, dann ist das völlig in Ordnung und muss respektiert werden. Jemand, der nicht darauf aus war, zu provozieren, wird das auch anstandslos tun.

Nimm es dir nicht zu Herzen

Leichter gesagt als getan, aber frage dich einmal: Warum muss jemand dir überhaupt fiese Kommentare an den Kopf werfen? Wer mit sich selbst im Reinen ist, hat so etwas nicht nötig. Mach dir daher bewusst, dass es nichts mit dir zu tun hat.

Gehe mit gutem Beispiel voran

Was wie ein Klischee klingt, ist sehr wahr und nützlich und ein guter Richtwert: Behandle andere so, wie du gern behandelt werden möchtest. Bringe anderen so viel Respekt entgegen, wie du auch erwartest. Kurzum: Zeige anderen, dass Ehrlichkeit und Direktheit auch mit Einfühlungsvermögen einhergehen können und nicht zwangsläufig Unhöflichkeit bedeuten müssen.

Ein Gedanke zu „Du bist „ehrlich“ und „direkt“? Wir können keine Freunde sein.

  1. Ann-Kristin sagt:

    So true! Typen a la: „Die Leute kommen nicht damit klar, dass ich so ehrlich und direkt bin.“, kommen mir seeehr bekannt vor und schön das auch nochmal von dir so reflektiert zusammengefasst zu bekommen. On point.
    Liebe Grüße
    Ann-Kristin

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