Ich war immer eine leidenschaftliche Vertreterin der Theorie, dass es so etwas wie Schicksal gibt. Den Gedanken, dass alles vorherbestimmt ist und somit alles, was uns passiert, Teil eines größeren Plans ist, fand ich schön und irgendwie auch tröstlich. Denn: Wann immer sich in meinem Leben etwas Schmerzhaftes ereignete, konnte ich mir sagen, dass es passieren musste, damit sich „mein Schicksal erfüllt“. Seit kurzem hadere ich allerdings sehr mit dieser Thematik. Hier sind meine Gedanken dazu.
Worum geht’s dabei eigentlich?
Die These lautet wie folgt: Alles, was in deinem Leben passiert, passiert FÜR dich, sodass du am Ende deine Bestimmung leben kannst. Wenn du dir etwas sehnlichst wünschst, aber es nicht bekommst, dann geschieht dies nur zum Schutz oder weil du etwas besseres verdienst. Es war dann einfach „nicht für dich bestimmt“. Wenn aber etwas „für dich bestimmt“ ist, dann musst du dich dafür nicht abrackern, es nicht erzwingen – es wird zu dir kommen oder sich ganz natürlich ergeben. Und vor allem wird es sich auch leicht und richtig anfühlen!
Warum ich bisher total dafür war
Ich habe einen Job nicht bekommen? Na, das sollte wohl so sein, vermutlich wartet da draußen ein besserer auf mich. Mein Wochenendtrip fällt wegen eines Bahnstreiks ins Wasser? Nun, da ja alles aus einem Grund passiert, könnte es vielleicht Schutz sein und ich hätte mir auf der geplanten Wanderung den Knöchel verstaucht? Die Kommunikation mit einer guten Freundin läuft schleppend und ich muss immer wieder den ersten Schritt tun? Tja, da sich die Freundschaft nicht mehr leicht und natürlich anfühlt, sollte ich sie wohl beenden.
Du ahnst, worauf ich hinauswill: Ich fand toll, dass diese Theorie für jedes negative Erlebnis eine positive Erklärung bietet. Das ist tröstlich und aufbauend. Lange Jahre gab mir dieses Denken Kraft und Ruhe. Kraft, weil ich die Gewissheit hatte, dass jedes schlechte Ereignis zu meinem Besten passiert. Ruhe, weil ich die Gewissheit hatte, dass das, was für mich bestimmt ist, mich finden wird und ich es nicht verpassen kann. Und es war stimmig für mich – ich konnte tatsächlich allem Negativen, was mir passierte, irgendwann etwas Positives abgewinnen. Manchmal dauerte es Jahre, bis ich einen tieferen Sinn dahinter erkennen konnte, aber es passierte. Wenn man an einem Punkt im Leben, an dem man total happy ist, einen Rückblick wagt und feststellt, wie die Rädchen ineinandergriffen, sodass man dorthin gelangen konnte, kann das ein wunderbares Gefühl sein.
Was hat sich für mich geändert?
Die vergangenen Monate waren nicht einfach für mich. Ich litt das erste Mal seit fast sechs Jahren an Panikattacken und Angstzuständen und wurde davon völlig überrollt. Allein das ist schon unglaublich kräftezehrend, aber wenn dann noch Herzschmerz dazukommt, wird es richtig unangenehm. Ich fühlte mich absolut miserabel. Aktiv dachte ich gar nicht wirklich darüber nach, ob all das nun tatsächlich geschehen musste, damit ich an einen bestimmten Punkt gelange. Aber ich merkte, dass sich etwas in mir sträubte, wenn ich auf Instagram an Postings wie „Was für dich bestimmt ist, wird dich finden“ oder „Wenn es für dich bestimmt ist, musst du nicht darum kämpfen“ vorbeiscrollte. Anders als sonst lösten diese Sprüche eher Ärger in mir aus. Und ich bin mir sehr sicher, dass ich weiß, wieso. Jeder, der schon mal eine Panikattacke hatte, wird wissen, wie furchtbar hilflos man sich fühlt. Man kann nichts tun, außer versuchen, „hindurchzuatmen“. Man fühlt sich völlig ausgeliefert, es ist ein kompletter Kontrollverlust. Wenn man mir dann weismachen möchte, dass ich sowieso nur bekomme, was für mich bestimmt ist, entzieht man mir auch hier die Kontrolle. Ich habe also gar keinen Einfluss darauf, was ich bekomme, ganz gleich, wie hart ich dafür arbeite? Und wie furchtbar anmaßend ist es bitte, dass irgendwer oder irgendwas festlegt, was für mich bestimmt ist? Vielen Dank, ist sicher gut gemeint, aber ich möchte bitte selbst entscheiden, wie mein Leben verläuft, und ja, ich möchte auch Fehler machen und daraus lernen! Ich möchte das Gefühl haben, mein Leben durch Motivation, Leidenschaft und Arbeit selbst in die Hand nehmen zu können und nicht bei jedem Projekt denken „hm, vielleicht ist es ja gar nicht für mich bestimmt, also stecke ich vielleicht gerade zu viel Zeit und Energie hinein?“.
Natürlich ist es viel einfacher und bequemer, sich zurückzulehnen und sich zu sagen „Auf Instagram hieß es, dass das, was für mich bestimmt ist, mich schon finden wird“. Inzwischen habe ich aber mehr Angst vor Kontrollverlust als vor Mühe. Selbstbestimmung ist es mir wert, etwas dafür zu tun. Und wenn ich bei allem, was sich nicht „leicht“ oder „natürlich“ anfühlt, sofort das Handtuch schmeißen würde, wo wäre ich dann? Nehmen wir doch mal das Beispiel der schwierigen Freundschaft von vorhin: Aufgrund meiner psychischen Verfassung war ich in der letzten Zeit die schwierige Freundin, die sich bei vielen Leuten nicht zurückmeldet. Nicht aus Faulheit, sondern weil mir schlicht die Kraft fehlte. Ich fände es furchtbar, wenn meine Liebsten dann sagen würden „da sich diese Freundschaft gerade nicht leicht anfühlt, soll sie wohl nicht sein, also ziehe ich mich zurück“.
Apropos Freundschaft: Natürlich sind zwischenmenschliche Beziehungen noch einmal etwas ganz anderes, wenn es um dieses Thema geht. Denn hier geht es ja nicht nur darum, was ich will, sondern auch darum, was die andere Person will, mit der ich gern eine Freundschaft pflegen oder eine Beziehung eingehen möchte. Wenn es aber beide wollen – und da bin ich mir absolut sicher -, dann wird es auch funktionieren. Auch, wenn die Umstände widrig sind, oder vielleicht sogar gerade dann. Ich bin unglaublich sensibel und empathisch, daher fühle ich wortwörtlich mit, wenn mein Partner oder eine Freundin Probleme mit mir teilt. Ich weiß, dass Menschen sich während einer Krise schwierig verhalten können, manchmal sogar verbal „um sich schlagen“ und verletzend werden können. Was ich damit sagen will, ist keinesfalls, dass man sich alles bieten lassen sollte. Was ich damit sagen will, ist, dass ich Menschen nie aufgeben würde, weil ich davon ausgehe, die Verbindung sei nicht „bestimmt“, nur weil der Weg gerade steinig ist.
Und jetzt?
Ich schließe auf keinen Fall aus, dass ich dem Thema irgendwann wieder versöhnlicher gegenüberstehe oder sogar Trost aus der Gewissheit ziehe, dass irgendetwas einfach nicht sein sollte und als Ersatz etwas Besseres auf mich wartet (überhaupt – wer entscheidet, was „besser“ ist?).
Was ich aber auf jeden Fall ausschließe: Dass ich Menschen aus meinem Leben streiche, weil die Interaktion mit ihnen gerade „schwierig“ ist oder dass ich Herzenswünsche aufgebe, weil mir Steine in den Weg gelegt werden, ehe ich sie erreichen kann.