“Man kann nicht nicht kommunizieren” (Paul Watzlawick)
Nun ja, das stimmt schon, aber in letzter Zeit kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Menschen sehr schlecht kommunizieren. Offene Kommunikation scheint eine Fähigkeit zu sein, die immer mehr in Vergessenheit gerät.
Warum empfinde ich das so?
- Die Freunde, die ich einfach anrufen kann, ohne vorher eine Verabredung zu treffen, sind sehr rar
- Apropos anrufen: Ich kenne viele Leute, die schon bei dem Gedanken ausflippen, mit jemandem zu telefonieren, ob mit oder ohne “Termin”
- Immer mehr Menschen glauben wirklich, dass “keine Antwort immer noch eine Antwort” ist
- Manchmal bekomme ich Antworten auf E-Mails und frage mich, ob mein Gegenüber meine ursprüngliche Mail überhaupt gelesen hat
- Es verwirrt mich, wenn Leute einfach auf eine Nachricht “reagieren” (wie es auf Instagram oder WhatsApp möglich ist) und dann denken, dass sie tatsächlich geantwortet haben
Als ich jünger war, war es völlig normal, zu telefonieren. Die ganze Zeit. Ja, ich habe meine Freunde in der Schule gesehen, aber wir haben nachmittags immer noch stundenlange Telefonate geführt. Wenn ich traurig war und jemanden zum Reden brauchte oder wenn ich aufgeregt war und meine Freude teilen wollte, konnte ich einfach zum Telefon greifen, eine Freundin anrufen und über alles reden, was mir durch den Kopf ging. Natürlich funktionierte es auch andersherum. Anstatt in Panik zu geraten, wenn mein Telefon klingelte, habe ich mich gefreut, dass jemand mit mir sprechen wollte. Warum ist das aus der Mode gekommen? Wann haben wir uns so daran gewöhnt, alles zu schreiben, dass wir plötzlich Angst bekommen, wenn das Telefon klingelt? Ich verstehe schon, wir sind alle sehr beschäftigt, da kann es nicht schaden, eine Vorwarnung zu bekommen und zu fragen, ob man Zeit für ein Gespräch hat. Aber weißt du, was? Wenn du keine Zeit hast, kannst du dein Telefon einfach stumm schalten und nicht abheben.
Es gibt aber auch Leute, die das Telefonieren völlig aufgegeben haben. Ich war mit einem Mädchen befreundet, seit wir Kinder waren. Es war meine längste Freundschaft, und sie hielt, obwohl wir nie in derselben Stadt wohnten (abgesehen von den ersten vier Jahren unseres Lebens), völlig unterschiedliche Leben führten und völlig unterschiedliche Interessen hatten. Da wir nie am selben Ort wohnten und uns somit nicht spontan treffen konnten, war Kommunikation das A und O – und sie funktionierte, und zwar eine ganze Weile lang. Dann hörte sie ganz auf zu telefonieren. Sie hat nie erklärt, warum sie sich dabei so unwohl fühlte. Sie wollte nur noch auf WhatsApp schreiben oder Sprachnachrichten austauschen. Ich benutze diese Kommunikationsmethoden zwar auch gerne, aber es funktioniert für mich einfach nicht, wenn eine Freundschaft allein darauf basiert und wir uns nie sehen oder tatsächlich miteinander sprechen. Textnachrichten oder das Hin- und Herschicken von Monologen sind für mich einfach kein Ersatz für echte Interaktion. Das wird deutlich, wenn es einen Konflikt gibt. Es ist einfach immer besser, solche Dinge persönlich oder, in unserem Fall, am Telefon zu klären. Sie war dafür nicht offen, und so hat die Freundschaft nicht gehalten.
Was ist mit “keine Antwort ist immer noch eine Antwort”?
Ich stimme dem nur zum Teil zu. Ja, manchmal gibt es Leute, die einen ghosten, weil es sie einfach nicht interessiert, was man zu sagen hat. Manchmal denken die Leute aber auch: “Ich antworte später”, vergessen es dann und schämen sich dann, sich zu melden, weil es so lange gedauert hat. Ich habe Freunde, die schrecklich im Antworten sind, sich aber riesig freuen, wenn ich mich melde. Oder nimm mich als Beispiel: Wenn ich Phasen habe, in denen ich mit Ängsten oder Panikattacken zu kämpfen habe, kommt mir das Beantworten einer Nachricht wie eine unüberwindbare Aufgabe vor. Ich versuche, den Leuten mitzuteilen: “Hey, ich muss mich ein bisschen zurückhalten, bis ich mich wieder besser fühle”, aber manchmal ist selbst das für mich nicht möglich, oder ich kann nicht einmal artikulieren, was ich fühle, sodass ich nicht in der Lage bin, zu kommunizieren. Es wäre schrecklich für mich, wenn meine Freunde dann sagen würden: “Nun, keine Antwort ist immer noch eine Antwort – es ist ihr offensichtlich egal, also versuchen wir es gar nicht erst”.
In meinen Augen ist keine Antwort keine ausreichende Antwort.
Schweigen kann so viel mehr bedeuten, als wir denken. Ja, es kann bedeuten: “Ich will nichts mit dir zu tun haben, also lass mich verdammt noch mal in Ruhe”, aber es kann auch bedeuten: Ich habe Angst, dass du mich zurückweist, nachdem ich mich so lange nicht gemeldet habe; ich weiß nicht, was ich sagen soll, also ist es im Moment einfacher, gar nichts zu sagen; ich fühle mich mit der banalen Aufgabe, eine SMS zu schreiben, überfordert, wäre aber froh, wenn du mich deshalb nicht aufgibst.
Während ich die Leute um Verständnis für all diese Nuancen des Nicht-Antwortens bitte, sollte es auch glasklar sein, dass Ghosting keine Option sein sollte. Überhaupt nicht. In Anbetracht der Tatsache, dass es so viele Gründe gibt, warum Menschen schweigen, ist keine Antwort nicht einmal annähernd eine zufriedenstellende Antwort. Wenn du kannst – kommuniziere! Auch wenn du befürchtest, dass dem anderen nicht gefallen könnte, was du zu sagen hast.
Was die letzten beiden Punkte auf meiner obigen Liste betrifft… Ich denke, sie sind das Ergebnis der Tatsache, dass Kommunikation zunehmend schriftlich stattfindet. Es ist so einfach geworden, Fragen auszuweichen, die man nicht beantworten kann oder will, oder einfach nur ein Emoji zu posten und es damit gut sein zu lassen. Wenn man sich daran gewöhnt hat, auf diese Weise zu kommunizieren, ist es klar, warum man sich bei Gesprächen am Telefon oder sogar persönlich unwohl fühlt.
Warum ist Kommunikation für mich so wichtig?
Für mich ist sie die Grundlage jeder Art von Beziehung, egal ob es sich um eine Beziehung zur besseren Hälfte, Kolleg:innen, Freund:innen oder Familienmitgliedern handelt. Wenn man nicht kommuniziert, wie soll die andere Person wissen, was los ist? Das ist das Problem: Wenn sie keine Antwort bekommt, beginnt sie zu vermuten, was das Problem sein könnte. Vielleicht wird sie denken, dass du einfach nicht mehr mit ihr reden willst und es nicht mehr versuchen. Vielleicht geht sie alle möglichen Szenarien im Kopf durch, aber sie kommt zu keinem Ergebnis, weil sie es einfach nicht wissen kann, wenn du es ihr nicht sagst. Missverständnisse sind Gift für jede Beziehung, und der einzige Weg, sie zu lösen, ist, miteinander zu reden.
Wie ist dein Verhältnis zu Kommunikation? Führst du gerne lange Gespräche am Telefon, oder gerätst du in Panik, wenn es klingelt? Hast du schon einmal jemanden geghostet oder bist du von jemandem geghostet worden? Warum hast du das getan, oder wie bist du damit umgegangen? Teile es mit mir in den Kommentaren mit oder schreib mir eine Nachricht – ich würde gerne deine Gedanken hören!
Liebe Dorothee,
dein Blog ist wirklich super. Ich empfinde es mittlerweile auch so, das lieber geschrieben oder geschwiegen wird, statt aktiv in Kommunikation zu gehen und einfach zu sagen was los ist.
Selbst wenn es mal “stressig” ist, einfach klar zu sagen “Ich kann gerade einfach nicht.”
Auch für das zwischenmenschliche empfinde ich es als extrem schwierig damit umzugehen.
Ich würde deinen Beitrag dazu gerne teilen, weil er meine Meinung dazu ebenfalls widerspiegelt.
Liebe Grüße
Tanja
Tausend Dank für Deinen Kommentar, liebe Tanja! So schön, dass Dir der Blog gefällt 🙂 Sehr gerne kannst Du den Beitrag teilen – ich freue mich sehr, dass ich damit Deinen Geschmack getroffen habe!
Liebe Grüße, Doro